Print-Design | 24. Februar 2024

Reverse-Design & Letterpress

Ein neues Framing, ein ganz neuer Blick auf eine Sache kann verblüffend sein. Und anregender als mancher Museumsbesuch, inspirierender als drei Kilometer Instagram- oder Pinterest-Feed Scrolling. Stellen wir uns vor: Du hast deine Daten zur Druckerei geschickt und schaust Dir gespannt den Output an – dein Design auf hochwertigem Papier. Am Rechner sah alles noch digital-steril aus, doch jetzt kommt er endlich zum Vorschein – dieser lebendige, authentische Print-Duktus. Real Life eben. Farbflächen auf rauem Naturpapier, eine kleine Landschaft aus Letterpress-Prägungen – kein Vergleich zum PDF auf dem Display. Es wirkt rauer, unvollkommener, »echter«. Und exakt dort beginnt das Reverse Cooking für Gestalter*innen. Du gehst also vom Resultat kommend noch einmal zurück zum Design und erklärst derlei Print-Eigenarten ganz bewusst zum Stilmittel. Drei Beispiele:

Flächen – unvollkommen willkommen

Bei Letterpress-Printjobs kommen gedruckte Farbflächen auffällig »analog-unruhig« daher, was eine charakteristische Eigenschaft dieses Druckverfahrens ist. Wir raten von der Gestaltung mit Flächen eigentlich ab, da unsere Kunden fast immer eher clean erscheinende Flächen erwarten, so wie du sie zum Beispiel vom Offsetdruck auf Coated-Papier gewohnt bist. Wenn für dein Print-Design mehr Punk gefragt ist, oder ein Kontrast zum Sleek Style für Freude sorgen soll, dann sind unruhige Letterpress-Flächen (»Saltiness«) das Stilmittel Nummer eins. Das gilt insbesondere für dunklere Farben, weniger für Gelb- und Rottöne. An der Maschine könnte man diesen Effekt noch weiter treiben, in dem die Farbmenge gegen die Regeln der Kunst zu knapp gefahren wird – jetzt reißen die Flächen richtig auf – archaisch bis anarchisch.

Visitenkarte im Detail: Die »Saltiness« ist bei Letterpress-Farbflächen unvermeidbar, kann aber als Stilmittel genutzt werden.

Erfreuliche Kleine Berge

Ebenso unterschätzt: im stets tiefgeprägten Letterpress-Druckbild haben Zwischenräume und Punzen die Angewohnheit, dass sie scheinbar »hochploppen«, also erhaben sind, was sich durch das drucken und damit verbundene Prägen zwangsläufig ergibt. Möchtest du das als Stilmittel bewusst nutzen, ist voluminöses Papier obligatorisch. Was die Gestaltung betrifft, kommt es auf die richtige Dimensionierung der grafischen Elemente an: Die Binnenräume einer fetten 36-Punkt-Schrift werden leicht zu ansehnlichen Hügelchen, bei einem weniger fetten Schriftschnitt geht das auch in kleineren Schriftgraden. Willst du diesen Effekt für ein Pattern oder eine Illustration nutzen, sollte das Motiv nicht zu dicht sein – die druckenden und nicht-druckenden Elemente brauchen etwas Abstand. Im Zweifel hilft ein Andruck, um zu einer präzisen Einschätzung zu kommen.

Subtraktiv, aber oho

Hier knöpfen wir uns die subtraktive Farbmischung vor. Das ist erstmal nicht innovativ, denn gedruckte, farbige Abbildungen werden seit eh und je mit subtraktiver Farbmischung im Zusammenspiel mit Druckrastern ermöglicht. Das ist ziemlich technisch, darum fangen wir einfacher an. Und statt der Prozessfarben Cyan, Magenta & Co. arbeiten wir lieber mit einer von über 1.000 Pantone-Farben.

Eine einzige Farbe reicht bereits aus, um die Subtraktion ans Laufen zu bekommen. Also 300 U (ein knackiges blau) aus der Dose nehmen und die Druckmaschine für den Job einrichten. Drucke ich nacheinander in zwei Durchgängen dasselbe blau übereinander, so entsteht daraus ein dunkleres blau. Natürlich geht das auch mehrmals. Drucke ich beim ersten mal gelb und im zweiten Arbeitsgang darüber hellblau, entsteht grün. Die Farbe des Papiers ist übrigens an der illustren Farben-Subtraktion wesentlich beteiligt. Soll ein Hellgrün auch wie Hellgrün aussehen, ist weißes Papier das Mittel der Wahl. Kreativ bis experimentell: Ein und dasselbe Motiv könnte man einfach mehrmals drucken, aber die Form jedesmal um wenige Zentimeter versetzen. Die überlappenden Bereiche werden bei jedem Druckdurchgang dunkler, also subtraktiv gemischt. Soweit, so einfach.

Mit dem praktischen Experimentieren und Variieren von Form und Farbe entsteht ein inspirierender Prozess, egal, ob deine Gestaltung eher auf abstrakten, typografischen, futuristischen oder Retro-Ideen basiert. Im ausgelassenen »Überdruck-Subtraktiv-Play« steckt ein ergiebiges und vielfach unentdecktes Kreativ-Potenzial; es ließe sich ein halbes Künstlerleben allein damit verbringen.

Wie man es praktisch angeht: Um nicht erst bei der Druckabstimmung bei einem Termin in der Print-Manufaktur zu Erkenntnissen zu kommen, helfen in der Gestaltungsphase die üblichen Werkzeuge wie z. B. Adobe Illustrator. Die Deckkraft der zu überdruckenden Elemente stellt man auf »Multiplizieren«. Damit lässt sich bereits am Monitor einschätzen, was später auf dem Druckbogen passiert. Das dient lediglich zur Ansicht, für die Aufbereitung der Daten für die Druckproduktion gelten andere Gebote.

Letterjazz-Journal

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